Drei Einsichten über den Umgang mit der Kraft in der Krise

Der tägliche Einheitsbrei. Das Wechselbad der Gefühle zwischen den Inzidenzzahlen und der gelebten Lockdown-Salamitaktik. Die fehlende Nähe und Ausgelassenheit. All das und noch viel mehr kann uns manchmal ganz schön runterziehen – auch wenn wir vielleicht gesund sind. Hinzu kommt der eigene Anspruch, dennoch bestmöglich zu funktionieren als Mitarbeiter*in, als Führungskraft, als Partner*in, als Elternteil, als Freund*in, als Kind. Überforderung und Überlastung lauern manchmal schon an der nächsten Zimmerecke.

Seit März letzten Jahres haben wir bei Boosting Change viele Workshops durchgeführt, in denen wir bewusst den Blick auf die Energie – auf die „Innere Bühne“ – gelenkt haben. Wir nennen diese Workshops Power-Retros (Retro kurz für Rückblick): Was gibt uns in unserer Arbeit und im Privaten Kraft und Energie? Was raubt uns (immer wieder) die Kraft und Energie? Wie können wir negative individuelle Muster durchbrechen? Und wie mit wiederkehrenden Energiefressern in der täglichen Zusammenarbeit im Team, mit anderen Teams, Kunden, Kolleg*innen und im Privaten umgehen? Wie können wir also gezielt unsere täglichen Routinen so anpassen, dass wir im Alltag mehr Kraft und Freiraum bekommen? Hier ist, was wir dabei gelernt haben. 

  1. Lasst uns stolz auf uns sein!

Am Wichtigsten: Zunächst sollten wir uns alle ruhig mal selbst auf die Schulter klopfen! Wie wir es immer wieder schaffen, uns am eigenen Schopf aus dem Gefühlssumpf herauszuziehen und mit welcher Kreativität wir welche Mechanismen entwickelt haben, um Stimmungstiefs zu überwinden: sei es der tägliche Spaziergang am Mittag, etwas Neues lernen, der virtuelle Austausch mit Freunden und Familie, das Team-Meeting per Telefon während des Spaziergangs, die Umgebung neu erleben, bewusst Pausen und digitalen Detox planen, etc. Wir haben so viel Neues entstehen lassen, ausprobiert und angepasst. Die Power-Retro dient auch dazu: Raum für die Selbstwertschätzung zu geben und die positiven Veränderungen zu verstärken. Unsere Teilnehmer*innen spielen uns häufig zurück, dass sie im letzten Jahr noch nie so viel über sich, ihre Bedürfnisse und ihre Ziele gelernt haben. Viele haben trotz oder aufgrund von Corona einen Neustart in den unterschiedlichen Kontexten erfolgreich gewagt. Und was wir dabei aber auch gesehen haben: gemeinsam sind wir stärker.

  1. Mehr Köpfe – mehr Perspektiven 

Von Anderen lernen ist ein wesentlicher Bestandteil für die eigene Weiterentwicklung. Oft ist man mit dem eigenen Latein am Ende bzw. braucht die bloße Bestärkung von Anderen: Ideen von außen, die man auf die eigene Situation anpassen kann. Andere Perspektiven, die den eigenen Blick erweitern oder konkrete Tipps von Anderen, genau zugeschnitten auf die eigene Situation. Wir erleben, dass durch die kollegiale Beratung in den Retros alle zu ihrer individuellen Situation von der diversen Expertise, Erfahrung und emotionalen Intelligenz der Anderen profitieren. Im gemeinsamen Diskurs erlangen eigene Ideen und Impulse zudem häufig mehr Tiefe und mehr Verbindlichkeit. Was ich einmal vor Anderen ausgesprochen habe, ist der erste Schritt zur realen Umsetzung. Wir arbeiten häufig mit der Metapher eines Ideenkorbes. Dieser füllt sich im Laufe der Retro mit Ideen für alle Personen und kann danach direkt (virtuell) mitgenommen und im Alltag weiter verwendet werden.

  1. Niemand ist eine Insel

Das Gemeine ist: Individuelle Bewältigungstaktiken können an ihre Grenze kommen, wenn sie sich nicht mit dem eigenen Umfeld und den Tagesabläufen, in die man eingebunden ist, vereinbaren lassen. Was nutzt die beste Idee, wenn das Umfeld nicht mitzieht oder die eigene Idee konträr zu den Bedürfnissen der Mitmenschen steht? Hier hilft die gemeinsame Reflektion im eigenen Umfeld (im Team, in der Familie, …) mit dem gemeinsamen Blick auf das, was Kraft kostet und das, was stärkt. Wichtig ist, die unterschiedlichen Alltagsrealitäten dabei anzuerkennen und miteinzubeziehen. Das funktioniert unserer Erfahrung nach sowohl im Arbeitskontext mit bestehenden Teams wie auch in Retros mit Teilnehmern aus unterschiedlichen Organisationen. In den Retros können so konkrete Lösungen gefunden werden, die Energiespender zu stärken und die Energiefresser aufzulösen. Die Gruppe trifft dann konkrete Vereinbarungen und schreibt diese in der start/stop/continue-Logik fest:

  • Was fangen wir neu an, zu tun (start)
  • Was machen wir bewusst nicht mehr (stop)
  • Was machen wir weiter und verstetigen es (continue)

Das positive Feedback der Teilnehmer*innen bestärkt uns darin, dass es wichtig ist, in Sondersituationen wie diesen den Blick nach innen zu lenken und Bewusstsein für das eigene Wohlergehen zu schaffen, am besten nicht nur alleine. Lasst uns gemeinsam so gut gestärkt wie eben möglich durch diese Krise gehen!